Interview mit dem ersten stellvertretenden Außenminister Usbekistans Ilhom Nematov
Usbekistan befindet sich seit zwei Jahren in einem dynamischen Wandel, im Inneren wie nach außen. Der im Dezember 2017 ins Amt gewählte Präsident Schawkat Mirsijojew hat zahlreiche und große Reformen auf den Weg gebracht. Wie steht es heute um die deutsch-usbekischen Beziehungen, wie steht es um die Beziehungen Usbekistans zu seinen Nachbarn, welche Bedeutung haben die Beziehungen zu Europa?
Sprechen wir erst über die bilateralen Kontakte. Ich möchte gern betonen, dass wir Deutschland sehr gut kennen. Deutschland hat ein sehr großes politisches, ökonomisches und kulturelles Potenzial. Wir wissen auch, dass Deutsch-land das »Powerhouse« der Europäischen Union ist. Wir in Usbekistan halten Deutschland für einen besonders wich-tigen Partner Usbekistans, nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt. […] Meine diplomatische Karriere hat in Deutschland begonnen. Im Juli 1993 bin ich nach Bonn gekommen, um unsere erste Botschaft in Europa zu eröff-nen. Von dort aus haben wir unsere weiteren Botschaften in Europa gegründet.Die usbekisch-deutschen Beziehungen sind dynamisch und stabil. Von Anfang an hat unser Präsident Schawkat Mirsijojew großes Gewicht darauf gelegt, die bilateralen Kontakte mit Deutschland zu stärken, sowohl politisch, als auch ökonomisch und kulturell. Ich begrüße sehr, dass wir dieselben Ansichten zu vielen zentralen, internationalen Themen haben, so zum Beispiel im Kampf gegen den Terror, zur Nichtverbreitung von Atomwaffen sowie im Kampf gegen Extremismus und Drogenhandel. Der Drogenhandel ist ein großes Problem, nicht nur in unserer Region, son-dern in der ganzen Welt. Auch in den Vereinigten Nationen arbeiten wir sehr aktiv mit Deutschland zusammen. Wir unterstützen einander in allen Gremien der UN. Wir meinen, dass Deutschland ein ständiges Mitglied im UN-Sicher-heitsrat sein und seine wichtige Rolle bei globalen Themen wahrnehmen sollte. […]
Lassen Sie uns über die wirtschaftliche Kooperation und den Handel sprechen. Das, was heute besteht, entspricht nicht unserem Potenzial. Wir sollten alles daran setzen, das Handelsvolumen zwischen unseren beiden Staaten zu vergrößern. Wir sind daran äußerst interessiert. […] Auch gute Kontakte zu deutschen Universitäten sind uns wich-tig. Viele Usbeken studieren in Deutschland in Bonn, München, Berlin und in anderen Städten. […] Deutsch ist als Fremdsprache in Usbekistan sehr beliebt, insbesondere in ländlichen Gebieten. In Taschkent haben wir sogar mehrere deutsche Schulen! […]
Kommen wir zur Außenpolitik. Der Präsident hat vom ersten Tag seiner Präsidentschaft an verkündet, dass ihm die Außenpolitik mit unseren nächsten Nachbarn besonders wichtig ist. Vor zwei Jahren haben einige Experten von Think Tanks darauf hingewiesen, dass wir viele Probleme [mit unseren Nachbarländern, die Red.] zu lösen haben. Welche sind das? Wasser und Grenzprobleme, und auch humanitäre Probleme. Die Experten waren der Meinung, dass diese Probleme eines Tages zu Konflikten zwischen Usbekistan und den anderen Ländern führen würden. Das war vor zwei Jahren. Aber jetzt konnten wir dank der offenen, konstruktiven und freundlichen Politik unseres Präsidenten ein völlig neues, gesundes Klima herstellen, stellen die Experten fest. Wir konnten eine sehr freundschaftliche Atmosphäre und günstige Bedingungen schaffen, um Kooperationen zwischen Usbekistan und anderen Ländern zum beiderseitigen Nutzen einzu-gehen, nicht nur zwischen Usbekistan und einzelnen Ländern, sondern auch zwischen allen zentralasiatischen Ländern.
In den letzten zwei Jahren gab es viele gegenseitige Besuche auf sehr hoher Ebene. Unser Präsident hat alle benachbarten Staaten besucht. Dank der Besuche konnten wir Lösungen für viele, auch komplizierte, Angelegenheiten finden, so beim Thema Wasser und auch beim Thema Grenzen. Im September 2017 haben wir ein Abkommen über den Grenzverlauf zwischen Kirgistan und Usbekistan unterzeichnet. Danach haben wir alle Hürden an den Grenzübergängen beseitigt. […] Jetzt überqueren täglich 30.000 Personen diese Grenze. Im März vergangenen Jahres haben wir ein Abkommen zwischen Tadschikistan und Usbekistan geschlossen. […] Darauf hin überqueren jetzt täglich 25.000 Personen die Grenze. Das Passieren der Grenze ist jetzt sehr einfach und offen. Sie kommen mit ihrem Pass zur Grenze, zeigen ihn vor und nach drei oder fünf Minuten können sie einreisen.
Alle Länder Zentralasiens haben sehr enge verwandtschaftliche Beziehungen untereinander. Zu Zeiten der Sowjet-union haben wir alle in einem Land gelebt, daher leben noch heute mehr als 1,5 Mio. ethnische Usbeken in Tadschi-kistan. In Usbekistan wiederum leben 1,5 Mio. Tadschiken, die usbekische Staatsbürger sind. Früher war es für sie ein großes Problem, die Verwandten zu besuchen. Heute bin ich sehr stolz darauf, sagen zu können, dass wir für diese Menschen gute Konditionen schaffen konnten, insbesondere für diejenigen, die in den grenznahen Gebieten wohnen. Als Folge [der neuen Abkommen, die Red.] ist auch der grenzüberschreitende Handel zwischen Usbekistan und den anderen Ländern Zentralasiens um mehr als 50 % gestiegen. Das ist ein ganz neues Phänomen. […]
Welche Veränderungen finden jetzt in Usbekistan statt?
Es gibt sehr viele Veränderungen in allen Bereichen. Wir öffnen uns für die Welt. Jetzt entwickelt sich Usbekistan entsprechend der Handlungsstrategie für 2017–2021. Darin gibt es fünf Bereiche:
An erster Stelle geht es um Reformen des Staatsaufbaus, um die Schaffung demokratischer Institutionen, um mehr Macht für das Parlament, um die Herstellung eines direkten Dialogs zwischen den Bürgern und der Regierung. Wir haben jetzt eine Art Virtuellen Empfangsraum im Büro des Präsidenten eingerichtet, ebenso im Büro des Premierministers und auch in allen Ministerien. Jeder kann dort von seinen Problemen berichten und diese sollen sofort gelöst werden. Alles ist unter Kontrolle.
Der zweite Bereich ist eine Strategie für die Justizreform. Sie umfasst alle Ebenen der Gerichtsbarkeit. Es gibt einen großen Wandel in unserem Justizapparat. […]
Der dritte Bereich behandelt die ökonomische Liberalisierung, die sehr wichtig für uns ist. Vor zwei Jahren, im September 2017, haben wir unsere Währung konvertibel gemacht. Es war ein großes Problem für die usbekische Wirtschaft. Jetzt versuchen wir günstige Bedingungen für alle Unternehmer herzustellen. Wir wollen alle Barrieren beseitigen, damit wir neue Technologien anwerben und innovative Programme in unsere Wirtschaft holen, um dann den Export zu erhöhen und um mehr Touristen ins Land zu holen. Das sind wichtige Aufgaben für das Außenministerium. Und wir wollen eine echte Marktwirtschaft einführen. […]
Im vierten Bereich geht es um soziale Themen. Wir haben ein großes demographisches Problem. Wir wachsen sehr schnell, jedes Jahr sind wir 700.000 Menschen mehr. Heute haben wir eine Bevölkerung von 33 Mio. Menschen! […]
Im letzten Bereich, dem fünften, geht es um Sicherheit, um religiöse Toleranz, und um eine offene, pragmatische und für beide Seiten günstige Außenpolitik.Was sind die wichtigsten Herausforderungen vor denen Usbekistan heute steht?
Die größte Herausforderung ist die Wirtschaft. Wir müssen alles tun, um unsere Wirtschaft zu beleben und sie in eine echte Marktwirtschaft zu überführen. […]
Die zweite Herausforderung ist das Thema Wasser. Das Wasserproblem ist äußerst wichtig, denn unsere Landwirt-schaft hängt hundertprozentig von der Bewässerung ab. Bei uns regnet es nicht oft, deshalb brauchen wir sehr viel Wasser.Geographisch liegt Usbekistan in der Mitte Zentralasiens und zwischen den beiden Flüssen Amu Darja und Syr Darja. Aber wir – Usbekistan, Kasachstan und Turkmenistan – sind Unterlieger. Kirgistan und Tadschikistan sind Oberlieger. Dort wird das Wasser gesammelt. Früher, zu Sowjetzeiten, hatten wir kein Problem, da wurde alles von Moskau geplant. In der Vegetationsperiode erhielten wir von ihnen [den Oberliegern, die Red.]) Wasser und wir haben ihnen kostenlos Gas, Petroleum, Öl u. a. geliefert. Aber nach dem Kollaps der Sowjetunion hatten wir viele Probleme mit ihnen. Deshalb haben wir begonnen, unser Gas und Öl zu verkaufen. Aber Wasser kann nicht verkauft werden, denn Wasser gehört nicht den Ländern, durch die es fließt, so sieht es die UN-Konvention vor. Grenzüberschreitendes Wasser sollte also nicht zu der einen oder der anderen Nation gehören, es kann nicht verkauft werden. Aber […] wir haben jetzt eine Lösung bei diesem Thema gefunden.
Die dritte Herausforderung ist der Transport, denn Usbekistan ist in doppelter Weise ein Binnenland. Wir können den Indischen Ozean und seine Häfen nur erreichen, indem wir erst andere Länder durchqueren. Wir exportieren unsere Güter auf zwei Routen: auf der Südroute durch Turkmenistan, Masschad und Bandar Abbas. Die zweite Route führt durch Kasachstan und Russland nach Europa. Der Transport und die Transportverbindung sind für uns sehr wichtig.Die nächst größte Herausforderung ist die Sicherheit. Dies ist eine große Herausforderung, denn wir sind direkte Nachbarn Afghanistans.
Afghanistan ist für uns aus verschiedenen Gründen sehr wichtig. Zum einen ist es ein enger Nachbar. Wir haben eine gemeinsame Grenze, Geschichte, Religion und Tradition und vieles andere. Der zweite Grund ist, dass Afghanistan wirtschaftlich […] für uns sehr wichtig ist. Über afghanisches Gebiet wäre es ein sehr kurzer Weg für unsere Waren, wenn sie zum indischen Ozean und den dortigen Häfen gelangen sollen. […]Wir haben schon viele Gespräche mit Afghanistan geführt. Im März vergangenen Jahres gab es auf Initiative unse-res Präsidenten eine internationale Konferenz zu Afghanistan, an der auch der afghanische Präsident und andere hoch-rangige Gäste aus vielen Ländern, auch aus Europa, teilgenommen haben.
Was halten Sie von der chinesischen Belt and Road Initiative, wie passt sie in die Zukunftspläne ihres Landes?
Wir haben hervorragende Beziehungen zu China. China ist sehr wichtig und ein potentiell sehr mächtiger Nachbar. Wir haben gute bilaterale und multilaterale Beziehungen im Rahmen der Shanghai Corporation Organisation (SCO). 2001 sind wir Vollmitglied geworden. Ich war fünf Jahre lang der Nationale Koordinator Usbekistans bei der Organisation. […] Wir in Usbekistan unterstützen alle möglichen Initiativen, die unserer Wirtschaft und der der Wirtschaft aller Länder Zentralasiens helfen, auch der Shanghai Organisation. Usbekistan, Zentralasien und China haben in der Shanghai Orga-nisation eine für beide Seiten nützliche Kooperation. Wir unterstützen einander bei den Initiativen. Jetzt ist Wladimir Norow [seit 1.1.2019 für drei Jahre Generalsekretär der SCO, die Red.] ernannt worden. Darauf sind wir sehr stolz. […]
Wie sind die Beziehungen Usbekistans zu Russland?
Russland ist traditionell ein sehr wichtiger Partner für Usbekistan. Wir haben 2004 ein Abkommen über eine strate-gische Partnerschaft unterzeichnet, und 2005 ein Abkommen über die Beziehungen zwischen Usbekistan und Russland. Russland ist historisch ein sehr wichtiger Handelspartner. Das Handelsvolumen zwischen Usbekistan und Russland wächst enorm schnell. Viele russische Firmen arbeiten in Usbekistan sehr erfolgreich, auch Gazprom und Lukoil und viele andere wichtige Firmen. Wir haben keine Sprachbarriere. Jeder hier kann Russisch und es ist kein Geheimnis: Viele Migranten arbeiten in Russland, denn Russland ist groß, aber die Bevölkerung und die Wirtschaft nicht. Viele Migranten aus Usbekistan gehen deshalb nach Russland. Natürlich sind die humanitären und kulturellen Beziehungen zwischen Usbekistan und Russland auch ein überaus wichtiger Faktor. Darum war der Besuch des russischen Präsidenten im letzten Oktober sehr, sehr erfolgreich. Wir haben eine Menge bilateraler Abkommen und Vereinbarungen unterzeichnet und wir haben schon zwölf Ableger russischer Universitäten in Usbekistan. Die russische Sprache ist sehr verbreitet. Ebenso wie Deutsch und Englisch. Wir legen großen Wert auf starke bilaterale Beziehungen zwischen Usbekistan und Russland.
Und wie sind die Beziehungen zur EU?
Die EU ist für uns sehr wichtig. Der Handel mit der EU wächst. […] Wir sind sehr interessiert an guter wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit allen Ländern der EU, so wie mit Deutschland, Frankreich, Großbritannien und viele anderen.[…]
Übersetzung aus dem Englischen von Birgit Wetzel
Die Fragen stellte Birgit Wetzel am 5. Januar 2019 in Taschkent