Hier die Ergebnisse der Wahl um das Präsidentenamt von gestern, 28. November 2018:
Kommentar vorab:
Neue Parteien gesucht!
Die Darstellung gibt das wieder, was ich vor wenigen Tagen in Georgien von vielen Seiten gehört habe. Die Politische Kultur ist noch nicht dort angekommen, wo von einer ausgereiften Demokratie gesprochen werden kann. Leider sind auch die Medien offenbar – noch – nicht in der Lage, den Wählern ein vielfältiges und hintergründiges Wissen zu vermitteln. Wichtig wäre es, dass sich die Parteienlandschaft verbreitert und dass nicht alle vorhandenen Parteien letztendlich von einem Finanzierer abhängen.
Vielen in der Politik anstehenden Themen haben in den letzten Wochen brach gelegen, so u.a. die Bekämpfung der Armut. “Die Wähler haben die Wahl zwischen einer schlechten und einer schlechteren Option” war das, was oft zu hören war! Aber immerhin, die Wahlbeteiligung lag bei 56,2 Prozent. BW
Georgien hat eine Präsidentin – der „Georgische Traum“ behauptet sich
Felix Hett, FES Südkaukasus, 29. November 2018
- – Am 28. November hat Salome Surabischwili die Stichwahl gegen Grigol Waschadse gewonnen und wird somit die erste Präsidentin Georgiens. Nach vorläufigen Ergebnissen erhielt Surabischwili 59,6 Prozent der Stimmen, nachdem im ersten Wahlgang am 28. Oktober nur 38,6 Prozent auf sie entfallen waren.
- – Surabischwili ist parteilos und war als „unabhängige“ Kandidatin angetreten. Sie wurde aber massiv von der Regierungspartei „Georgischer Traum“ (GT) unterstützt. Nach dem Ergebnis des ersten Wahlgangs, dass von der GT-Führung als Niederlage aufgefasst wurde, hatte die Partei stark mobilisiert. Der GT-Vorsitzende Bidsina Iwanischwili, dessen Vermögen auf 4,6 Milliarden US-Dollar geschätzt wird – rund ein Viertel des georgischen BIPs – hatte persönlich in den Wahlkampf eingegriffen und den zweiten Wahlgang zu einer Frage des Vertrauens in seine Person umgedeutet. Iwanischwili, der von 2012 bis 2013 Premierminister war, gilt seither als informeller Regierungschef Georgiens, der das Licht der Öffentlichkeit meist meidet. Nun wurde sein Bild im gesamten Land plakatiert, die eigentliche Kandidatin trat merklich in den Hintergrund. Am Wahltag erhielten die georgischen Wähler_innen Anrufe mit einer Audiobotschaft Iwanischwilis. Gleichzeitig versprach die Regierung in der einmonatigen Zwischenwahlperiode eine ganze Reihe sozialer Wohltaten. Insbesondere soll die Sozialhilfe für Kinder erhöht und ein Weiterbezug der Gelder auch dann für ein Jahr möglich werden, wenn Sozialhilfeempfänger eine formale Arbeit aufnehmen. Höhepunkt war die Ankündigung eines Schuldenerlasses für rund 600.000 Georgier, die derzeit auf einer „Schwarzen Liste“ als kreditunwürdig geführt werden. Die von Iwanischwili gegründete „Cartu Stiftung“ werde nicht mehr bediente Klein-Kredite im Volumen von umgerechnet rund 500 Millionen Euro bis Ende des Jahres aufkaufen und den Schuldnern erlassen. Die Opposition und diverse Nichtregierungsorganisationen (NRO) kritisierten dieses Manöver als eindeutigen Stimmenkauf.
- – Die Mobilisierungsstrategie des GT hat offenkundig gefruchtet: Die Wahlbeteiligung stieg von 46,7 im ersten auf 56,2 Prozent im zweiten Wahlgang. Mithin gingen fast 340.000 mehr Menschen zur Wahl als vor einem Monat. Von diesem Zuwachs profitierte vor allem Surabischwili, die über eine halbe Million Stimmen hinzugewinnen konnte. Die Opposition hingegen hatte ihr Mobilisierungspotential bereits im ersten Wahlgang weitgehend erschöpft. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass die aktive Rolle des Ex-Präsidenten Micheil Saakaschwili im Wahlkampf viele Wähler_innen davon abgehalten hat, für Grigol Waschadse zu stimmen. Saakaschwili führt die einstige Regierungspartei „Vereinte Nationale Bewegung“ (VNB), die Waschadse mit nominiert hatte, weiterhin informell aus dem Exil. Seine Unbeliebtheit in der Bevölkerung und seine Unfähigkeit, sich diese selbst einzugestehen, wurden bereits 2016 für das schlechte Abschneiden der VNB in den Parlamentswahlen verantwortlich gemacht. Gleichzeitig hatte der GT eine massive negative Kampagne gegen Waschadse, Saakaschwili und die VNB lanciert, die den zweiten Wahlgang zu einer „prinzipiellen Wahl“ gegen das „böse“, 2012 durch den GT abgelöste „Regime“ erklärte. Verschiedene gesellschaftliche Gruppen, darunter Künstler, Intellektuelle, aber auch der Gewerkschaftsdachverband GTUC und die rechtspopulistische Partei „Allianz der Patrioten“, organisierten im November Demonstrationen und Massenveranstaltungen, auf denen die VNB dämonisiert und zur Unterstützung Surabischwilis aufgerufen wurde.-1-
- – Der Wahlkampf hat gezeigt, dass die georgische Politik weiterhin stark von der Konkurrenz zweier „Alphatiere“ bestimmt wird, die kein formelles Amt bekleiden. Während Bidsina Iwanischwili zumindest seit Mai 2018 wieder Parteivorsitzender des GT ist, hat Micheil Saakaschwili nicht einmal mehr die georgische Staatsbürgerschaft. Sein Engagement im Wahlkampf ist daher nach georgischen Gesetzen illegal. Die Auseinandersetzung wurde sehr polarisiert und vor allem über das Fernsehen geführt. Die zwei größten Privatsender – Rustavi 2 und Imedi – ergriffen erklärtermaßen Partei für Waschadse bzw. Surabischwili und zogen für diese in die Schlacht. Führende NRO, darunter die georgische Sektion von Transparency International, attackierten den GT heftig und wurden im Gegenzug durch Regierungsvertreter als Teil der Opposition angegriffen. Der mit harten Bandagen geführte Wahlkampf um ein politisch nachrangiges Amt hat somit großen Flurschaden in der politischen Kultur Georgiens hinterlassen. Saakaschwili rief sofort nach Schließung der Wahllokale per TV- Interview zu Demonstrationen sowie Polizei und Armee zu zivilem Ungehorsam auf. Waschadse bekannte zwar auch, Surabischwili habe dank der Unterstützung von „Kriminellen, korrupten Beamten und Drogenabhängigen“ gewonnen, gab sich ansonsten aber gemäßigter: Saakaschwilis Äußerungen seien seine Privatmeinung, die Opposition werde über das weitere Vorgehen am Abend des 29. Novembers beraten.
- – Gleichzeitig hat die Wahl die inhärente Schwäche des „Georgischen Traums“ deutlich aufgezeigt: Nur durch eine enorme Kraftanstrengung und den persönlichen Einsatz Iwanischwilis konnte die nach dem Ergebnis des ersten Wahlgangs durchaus mögliche Niederlage Surabischwilis abgewendet werden. Iwanischwili befand es für nötig, sich bei der georgischen Bevölkerung für die Fehler „seiner“ Regierung zu entschuldigen: Er bezog sich hierbei insbesondere auf den Kampf gegen die Armut, der seit Jahren auf der Stelle tritt. Eine nur
in T eilbereichen erfolgreiche Regierungspolitik, die unglückliche Entscheidung zur Unterstützung der oft ungeschickt agierenden Surabischwili und Konflikte innerhalb der Partei konnten nur durch die persönliche Autorität des Parteigründers und die Einschwörung auf den Kampf gegen die VNB als den gemeinsamen Feind überdeckt werden. Ob eine Wiederholung dieser Doppelstrategie aus Appellen an das Vertrauen in die paternalistische Führungsfigur und Dämonisierung des Gegners für einen Sieg bei den Parlamentswahlen 2020 reichen wird, ist fraglich. Ein möglicher Ausweg wäre die Entwicklung einer positiven Reformagenda, die sich zum Ziel setzt, Georgiens erhebliche soziale Ungleichheit zu mindern und den Bruch mit der von Saakaschwili begründeten libertären Wirtschaftspolitik einleitet. Auf dem politischen Feld Georgiens ist zudem Platz für eine neue „Dritte Kraft“, die aus der allgemeinen Politikverdrossenheit und dem schlechten Ansehen von Regierung und Opposition Kapital schlagen könnte.
- – Nach einer Verfassungsreform 2017 waren die gestrigen Wahlen die vorerst letzten Direktwahlen für das Präsidentenamt. Die neue Präsidentin bleibt zwar weiterhin Staatsoberhaupt, ist aber im Wesentlichen auf repräsentative Funktionen beschränkt. Künftig wird ein 300köpfiges Wahlgremium – ähnlich der Bundesversammlung – das Staatsoberhaupt bestimmen. Am Wahlabend zogen die in der Wahlbeobachtung engagierten NRO ein gemischtes Fazit: Insgesamt sei die Wahl gesetzmäßig verlaufen. Bemängelt wurden aber die starke Präsenz von GT-Aktivisten an den Wahllokalen sowie Verletzungen des Wahlgeheimnisses.
- – Salome Surabischwilis wurde in Frankreich als Kind georgischer Emigranten geboren. Die Karrierediplomatin kam zunächst als französische Botschafterin nach Georgien. Saakaschwili machte sie 2004 zur Außenministerin. 2005 wurde sie entlassen und schloss sich der Opposition an. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erlebt Georgien den fünften Wechsel im Amt-2-
des Staatsoberhaupts. Der scheidende Präsident Giorgi Margwelaschwili war 2013 vom GT nominiert worden, hatte sich aber danach mit der Parteiführung überworfen und auch aufgrund seiner geringen Popularität von einer erneuten Kandidatur abgesehen.