Am 4./5. April war EU-Kommissionspräsidentein Ursula von der Leyen zum ersten EU-Zentralasien-Gipfel in Samarkand, Usbekistan. Aus diesem Anlass hier ein Beitrag, den ich im Okotber 2019 für den Petersburger Dialog geschrieben hatte:
Es geht um mehr als Öl und Gas. Mit der neuen Zentralasienstrategie bereitet die EU den Boden für Investitionen aus Europa. Petersburger Dialog, Oktober 2019. In Russisch: Больше, чем нефть и газ. Экономика
Dieses aktuelle Thema fand in den deutschen Medien kaum Beachtung. Aber es markiert einen Meilenstein für die Zusammenarbeit beider Regionen – wichtig gerade in diesen Wochen der Unsicherheit, Machtverschiebungen und Disruptionen.
Was will die EU in Zentralasien?
Zentralasien ist für viele Europäer ein weißer Fleck auf der Landkarte. Nur langsam nimmt er Farbe an. Reisewerbung von strahlend blauem Himmel und türkis leuchtenden Kuppeln schwebt auf die Fernseher.
Für die EU dagegen ist Zentralasien schon lange eine bekannte und wichtige Region, in der sie neue Partner gefunden hat. Am 17. Juni 2019 gab sie die neue Zentralasienstrategie bekannt. Ihre Aktivitäten baut sie mit dem EEAS, dem European External Action Service, jetzt weiter aus. EU Vertretungen gibt es im Osten bis nach Bischkek, Kirgistan, an der Grenze zu China.
Im November 2017 hatte Frederica Mogherini, die EU-Außenbeauftragte, einen besonderen Auftritt. Unter dem tiefblauen Himmel von Samarkand, Usbekistan, versammelten sich die zentralasiatischen Staatschefs auf der Bühne der Residenz des usbekischen Präsidenten mit der Außenbeauftragten aus Brüssel. Hochrangige Gäste füllten den Saal, Exzellenzen, Staatschefs und Minister waren zur „UN Conference on Security and Sustainable Development“ in die Mitte Zentralasiens gekommen. Vor ihren Augen gründete sich ein neuer Verbund: Usbekistan, Kasachstan, Turkmenistan, Kirgistan und Tadschikistan. Die Konferenz war der Auftakt zu einer neuen Etappe für die Staaten Zentralasiens.
Folgen des Ukraine-Krieges bei den Staaten in Zentralasien
Seit ihrer Unabhängigkeit zu Beginn der 90-er Jahre rivalisierten sie mit einander, stritten um Wasser, Ressourcen und Grenzen. Dann kam der Ukraine-Konflikt und zeigte deutlich, dass auch ehemalige Bruderstaaten übereinander herfallen können. Könnte sich das in Zentralasien wiederholen? „Gemeinsamkeit macht stark“, war die neue und alte Erkenntnis. In nur einem Jahr regelten sie unter der Leitung des neuen, im Dezember 2016 ins Amt gekommenen Präsidenten von Usbekistan sämtliche über Jahre aufgestauten Konflikte und beschlossen, von nun an zusammen zu arbeiten. Ihr Vertrag für eine regionale Zusammenarbeit war zugleich ein Bekenntnis.
Auch für die EU brach damit eine neue Ära an. Sie steht dem neuen Bund beratend zur Seite. Die langjährige Erfahrung der Zusammenarbeit innerhalb der EU gilt als vorbildlich und die dort gesammelten Erfahrungen werden in Zentralasien gern übernommen.
Was vor zwei Jahren noch erstaunlich war, ist inzwischen zur Routine geworden. Zu vielen Besuchen war die Außenbeauftragte bei den Partnern in Zentralasien, zuletzt im Juli 2019 in Bischkek zu einer Regionalkonferenz mit den fünf Außenministern der Region: aus Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan. Gemeinsam besprachen sie die Umsetzung der neuen, zweiten Zentralasien-Strategie, die am 15. Mai 2019 offiziell erschien.
Die erste Zentralasienstrategie verabschiedete die EU Kommission bereits im Juni 2007, einstimmig. Ziel war es, die Energieressourcen rund um das Kaspische Meer nach Europa zu bringen und gleichzeitig die Staaten des Kaukasus und Zentralasiens in ihrer Eigenständigkeit und ihrer Transformation zu Demokratie und Marktwirtschaft zu stärken.
Die ersten, konkreten Ansätze zu dieser Politik gehen zurück auf das Jahr 1999.
Damals, am 18.November 1999, unterzeichneten die Präsidenten der Staaten Türkei (Süleyman Demirel), Georgien (Eduard Schewardnadse), Aserbaidschan (Heidar Alijew), Kasachstans (Nursultan Nasarbajew), und der Präsident Usbekistans (Islam Karimow) und der USA (Bill Clinton) in Istanbul während einer Konferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine Absichtserklärung zum Bau von Öl- und Gas-Pipelines durch den Kaukasus. Das verdeutlicht die politische Dimension des Vorhabens: Nicht nur die Länder im Kaukasus, aber auch die östlich des Kaspischen Meeres liegenden Staaten Kasachstan und Usbekistan bekundeten damit ihr Interesse, ihr Öl und Gas über den Kaukasus anstatt über Russland auf die Weltmärkte zu bringen.
Wegen der vielfältigen geostrategischen Interessen war die Routenführung schwierig. Am 18.September 2002 schließlich wurde in Baku der erste Spatenstich vollzogen. 2006 brachte die Pipeline das erste Erdöl auf der neuen Route in den Westen.
Sie überwindet dabei Berge von 2830m Höhe, kreuzt 3000 Straßen und Eisenbahnlinien; sie verläuft durch Gebiete, in denen Erdbeben drohen, und durch die Osttürkei, deren kurdische Bewohner möglicherweise die Pipeline nutzen könnten, um politischen Druck auf die Führung in Ankara auszuüben. Ihr Bau war sowohl eine technische Leistung als auch ein Kunststück politischen und wirtschaftlichen Kalküls.
2007 floss auf derselben Route Gas durch die zweite, ebenfalls neue Röhre, die so genannte South Caucasus Pipeline, die zunächst in Kars, in der Türkei, endete. Nach mehreren Jahren Pause mit Turbulenzen um Geld, Routen und beteiligte Firmen steht ihre Fertigstellung bis in den Süden Italiens jetzt kurz bevor, finanziert nicht mehr von einem Europäischen Konsortium, sondern von Aserbaidschan und der Türkei.
2 Beide Pipelines geben ein Beispiel, wie eng Politik und Wirtschaft oft miteinander verflochten sind. Sie sorgten für den Wandel einer ganzen Region.
Pipelines und Petrodollars verändern den Kaukasus
Der damals angestossene Prozess dauert bis heute an. Er veränderte die Region nachhaltig, sowohl in Aserbaidschan wie auch in Georgien, das mit den Gebühren für die Durchleitung mehr als die Hälfte seines Staatshaushaltes finanziert. Die Baku-Tbilisi-Ceyhan-Ölpipeline hatte ein klares Ziel: Die Weltmärkte für das kaspische Öl zu erschließen und die Staaten Zentralasiens aus der Isolation und der Abhängigkeit von Russland zu bringen.
Die erste Zentralasienstrategie der EU von 2007 hatte nur bedingten Erfolg. Zwar konnte die EU ihre Kontakte zu dem Staaten in Zentralasien bilateral ausbauen. Insbesondere zwischen Kasachstan und Deutschland entstanden neue Verbindungen, gestützt durch die russisch-deutschen Migranten, die von dort in den 90-er Jahren nach Deutschland kamen. Aber die Pläne für eine regionale Zusammenarbeit der Staaten in Zentralasien und eine stabile Struktur bilateraler und regionaler Vernetzungen blieb aus.
Zwar liefern die Öl- und Gas-Pipelines durch den Kaukasus, und auch Kasachstan ist zu einem wichtigen Öllieferanten für die EU geworden. Aber die Pläne zum weiteren Ausbau durch das Kaspische Meer bis nach Zentralasien scheiterten. Ein in den 90-er Jahren noch schwaches Russland war zehn Jahre später erstarkt und nicht mehr bereit, sich die drohenden Ausfälle von Verdiensten aus den Energiegeschäften mit den zentralasiatischen Quellen entgehen zu lassen. Dort hatte Moskau eingekauft, über Russland geleitet und mit statten Gewinnen weiter nach Europa verkauft. Der Krieg zwischen Russland und Georgien 2008 machte deutlich, wie verwundbar die Leitungen sind.
Zusammen mit dem Iran blockierte Russland die von westlichen Staaten geplante Querung des Kaspischen Meeres jahrelang. Das wiederum zerstörte die Pläne für weitere Pipelines nach Zentralasien und sorgte so auch für das Ende der über Jahre geplanten Nabucco-Pipeline, die Gas aus Aserbaidschan und dem gasreichen Turkmenistan nach Mitteleuropa bringen sollte und so auch dort die noch immer von russischen Lieferungen abhängigen, postsowjetischen Staaten aus der Abhängigkeit vom Moskaus Gas und Infrastruktur lösen sollten.
Verbindungen über das Kaspische Meer
Erst am 12. August 2018 unterzeichneten die Anrainer des Kaspischen Meeres nach 27 Jahren Verhandlungen ein Abkommen, das die Blockade löste und so neue Perspektiven für Europa und Zentralasien eröffnet.
Der Wille zur regionalen Zusammenarbeit und die Öffnung Usbekistans schafften ganz neue Perspektiven. Nach intensiven Konsultationen mit den Zentralasiaten gab die EU ihre zweite Zentralasienstrategie bekannt.
Mit der neuen Strategie knüpft die EU an frühere Ziele an und berücksichtigt zugleich die neuen Entwicklungen. Zwar geht es noch immer um Gas und Öl für Europa und die Weltmärkte, aber die EU verlagert die Schwerpunkte ihrer Aktivitäten in Zentralasien auf den Transfer von Wissen und Bildung, Gesundheitsvorsorge, Bekämpfung von Kriminalität, Sicherung von Grenzen, und bietet Hilfe beim Aufbau von Demokratie und Marktwirtschaft. Die EU hofft damit auf eine Stabilisierung ihrer Nachbarschaft, die unter Korruption, Menschenhandel, Drogenschmuggel und religiösem Terror leidet. Der wandert über Internet und moderne Verkehrsmittel auch nach Europa. Die neuen Plänen der EU beinhalten auch Projekte für Afghanistan.
Mit der neuen ZA Strategie bereitet die EU den Boden für Investitionen aus Europa. Noch liegt die Wirtschaft in Zentralasien am Boden. Aber es gibt große Hoffnung, dass Firmen ihre Chancen wahrnehmen und in Zentralasien investieren. Je mehr die Wirtschaft der EU schwächelt, desto mehr bietet Zentralasien gute Chancen. Gebraucht wird fast alles.