Usbekistan und die EAWU, die Eurasische Wirtschaftsunion (Binnenmarkt mit Zollunion: Russland, Kasachstan, Kirgistan, Belarus und Armenien) – beitreten oder nicht? Jetzt hat das Land den Status eines Beobachters.
Usbekistan steht vor einer wichtigen Entscheidung. Sie hat Auswirkungen auf Wirtschaft und Politik zugleich und sie ist eine Art Weichenstellung für die kommenden Jahre. Es geht nicht nur um nüchterne Zahlen, aber um eine Einschätzung der Situation und eine Vorausschau in die kommenden Jahre: Sollte Usbekistan der EAWU beitreten oder nicht?
Der neue Kurs: liberal und international
Vor drei Jahren hat Usbekistan einen Kurs der Liberalisierung eingeleitet. Nach 27 Jahren der Isolation hat sich das Land unter dem neuen Präsidenten geöffnet – erst zu seinen Nachbarn, dann auch zur internationalen Bühne. Präsident Mirzijojew reiste um die Welt, stellte neue Kontakte her und gab alten Kontakten neues Leben. Ein klares Bekenntnis zur internationalen Bühne zeigte sich auch auf UN Aral-See Konferenz im Oktober vergangenen Jahres. Experten aus aller Welt berieten sich über Maßnahmen, die dem Aral-See Region neues Leben geben könnte. Dort sind gerade noch zehn Prozent des noch vor 50 Jahren vorhandenen Wassers vorhanden, auf einer Fläche so groß wie Bayern.
Das Interesse der internationalen Gemeinschaft an Usbekistan ist stark gestiegen. Ebenso stiegen die Mittel internationaler Geber für Usbekistan. Mit seinen knapp 34 Millionen Einwohnern und im Zentrum Zentralasiens gelegen hat das Land erhebliche Bedeutung. Wohin führt der jetzt eingeschlagene Weg? Welche Gründe könnten für und welche gegen einen Beitritt zur Eurasischen Wirtschaftsunion sprechen?
Pro und Contra EAWU
Vor den Parlamentswahlen am 22. Dezember gab es noch keine Entscheidung, doch die Frage steht im Raum, ob es einen Beitritt zur Eurasischen Union geben wird oder nicht. Welche Folgen hätte das für die wirtschaftliche und die politische Entwicklung des Landes?
Die wirtschaftliche Öffnung Usbekistans findet auf zwei unterschiedlichen Ebenen statt: Zum einen geht es um Handel und Investitionen. Zum anderen geht es um den Weg weg von Staatszentrismus und hin zur privaten Wirtschaft. Steuern sollen kleine und mittlere Betriebe fördern. Sie werden dringend gebraucht, denn sie schaffen Arbeitsplätze, sie regen den Handel mit den Nachbarn an und bringen Geld ins Land. Der beschrittene Weg hat gerade erst begonnen. Das Potential ist groß, in fast allen Bereichen der Wirtschaft. Die Umstrukturierung in der Baumwoll-Industrie hat begonnen. Weniger Anbau von Baumwolle, aber dafür mehr Verarbeitung des Rohstoffs im eigenen Land, um die Wertschöpfungskette zu steigern – auch diese Maßnahme zeigt bereits erste Erfolge.
Weiter geplant und wichtig scheint auf mittlere Sicht eine Mitgliedschaft in der WTO. Wann und wo Usbekistan diese Schritte gehen will, das ist noch nicht bekannt. „Ein Beitritt zur EAWU und ein WTO-Beitritt schließen sich nicht aus, siehe Kasachstan.“ sagt Robert Kirchner, Stellv. Leiter des German Economic Teams Usbekistan, welches im Auftrag des deutschen Bundeswirtschaftsministeriums die usbekische Regierung bei der Gestaltung wirtschaftspolitischer Reformprozesse unterstützt.
Insgesamt stellt sich für Usbekistan die Frage, wie es Umgang mit seinen den großen Nachbarn China und Russland gestalten wird. Beide Nachbarn haben Interessen – die einen schweigen dazu, die anderen rühren die Werbetrommel. Russland wirbt für eine Mitgliedschaft Usbekistans in der EAWU. Moskaus Interesse daran ist groß. Der Wirtschaftsraum mit einem einheitlichen Regelwerk, mit gemeinsamen Wirtschaftsaußengrenzen und -zöllen könnte den Handel der EAWU Staaten untereinander erleichtern.
Doch tatsächlich hat Usbekistan mit den entsprechenden Staaten bereits ein Freihandelsabkommen. Eine Mitgliedschaft in der EAWU wäre also kein Gewinn. Im Gegenteil – es würde den Druck auf die eigene, usbekische Wirtschaft erhöhen, denn die müsste sich schnell an neue Normen und Regeln anpassen.
Hinderlich wäre auch, dass sich ein Handelsabkommen mit der EU nicht mehr realisieren ließe, wenn sich Usbekistan der EAWU anschließen würde. Wie die Auswirkungen auf die angestrebten, engeren Kontakte zu Deutschland sich entwickeln, dürfte eine weitere, offene Frage sein.
Unklar ist auch die Wirkung einer Mitgliedschaft auf einige der internationalen Geber, die seit der neuen Öffnung erhebliche Mittel ins Land gegeben haben. Würden sie ihre Mittel kürzen oder streichen? Der derzeit wichtigste Geber, die Asian Development Bank, dürfte im Geschäft bleiben, gleichgültig, wie die Entscheidung aussehen wird.
Von Vorteil von Usbekistan wäre die Mitgliedschaft in der EAWU, wenn damit der Druck von Seiten Chinas auf Projekte in Usbekistan gemindert würde. Bisher ist deren Engagement in Usbekistan vergleichsweise gering, auf jeden Fall geringer als bei den Nachbarn, die Usbekistan umgeben.
Ein bisher wenig diskutierten Faktor mit erheblichen Gewicht sind die Migranten. Knapp die Hälfte der Usbeken im arbeitsfähigen Alter arbeitet im Ausland, in Russland und Kasachstan, weil Usbekistan nicht genügend Arbeitsplätze bietet. Viele pendeln wöchentlich, andere monatlich zwischen ihrer Arbeitsstelle und ihrem Heimatland hin und her. Dort, wo sie arbeiten, müssen sie ein so genanntes Patent erwerben, mit dem sie zugleich ihre Steuern und Sozialabgaben im Gastland entrichten.
Ein Beitritt zur EAWU könnte zur Folge haben, dass diese Abgaben entfallen – jedenfalls wäre sie ein gewichtiger Faktor in den möglichen Verhandlungen. Sollten sie entfallen, würden erhebliche Summen an Devisen zu den Familien in Usbekistan fließen. Die wären sicher willkommen und würden – zumindest vorübergehend – für gute Stimmung sorgen.
Noch vorteilhafter scheint es, wenn die Wirtschaft in Usbekistan Fahrt aufnimmt, wenn Investitionen von Innen und aus dem Ausland jetzt ins Land kommen, aus unterschiedlichen Richtungen und Bündnissen, die keine politische Richtung vorgeben, so dass das Land seine unabhängige und multivektorale Außenpolitik fortsetzen kann.
Die Zahl der Arbeitsmigranten würde dann zurückgehen. Usbekistan könnte seine Wirtschaftspolitik unabhängig gestalten und müsste nicht fürchten, dass über die Wirtschaft auch die Politik wieder in fremden Regie gegeben würde.
Eine offene Frage bleibt, ob Usbekistan ein Stück seiner Souveränität, eine eigene Handelspolitik und Entscheidungen darüber abgeben muss, um zwischen den großen Nachbarn bestehen zu können, und ob es – mit Hilfe der EU und der Kooperation der zentralasiatischen Staaten untereinander – stark genug ist und einen Weg findet, die Geschicke weiter in voller Unabhängigkeit zu lenken.
Die Entscheidung hat weit reichende Folgen.