Aserbaidschan, das Land des Feuers, vom Kaukasus bis zum Kaspischen Meer. (Radio-Reportage)
Baku – die Hauptstadt, die Perle am Kaspischen Meer
Die Luft ist schwer und warm. Wie ein dicker Teppich liegt sie auf Baku, der großen Stadt am Ufer des Kaspischen Meeres. Fern am Horizont stechen Bohrtürme in den Himmel, fein wie Nadeln. Gas und Erdöl pumpen sie aus dem Meeresboden nach oben. Jeder Atemzug riecht nach Öl. Weil die ganze Welt um dieses Öl schachert, schwappt eine Dollarwelle in das einst bitterarme Land, das sich 1991 aus der Sowjetunion gelöst hat und nun selbständig ist.
Autoschlangen wälzen sich tagtäglich laut hupend durch die viel zu engen Straßen der Altstadt, die den neuen Reichtum noch gar nicht fassen kann. Auf sechsspurigen Ausfallstraßen rasen schwere schwarze Limousinen und flinke Kleinwagen an der Küste entlang.
Baku platzt aus allen Nähten.
Das kleine Land am Kaukasus ist kaum größer als Bayern. Von den acht Millionen Einwohnern lebt jeder zweite in einer Stadt, die meisten in Baku. 800 Hochhäuser sind hier in den letzten fünf Jahren aus dem Boden geschossen. Ihre himmelhohen Fassaden nehmen die malerische Altstadt eng in die Zange.
Einige der alten Bauten stammen noch aus der Zeit, als die Stadt vom aserisch-türkischen Staat der Safawiden erobert wurde.
Das war 1501. Andere Häuser sind kaum hundert Jahre alt. Sie wurden gebaut, als als Baku den ersten Ölboom erlebte.
Neuer Glanz
Nur wenige Schritte vom Lärm der Altstadt entfernt und direkt am Ufer des Kaspischen Meeres erstreckt sich der Bulevard, eine kilometerlange breite Promenade mit Parkanlagen.
Er ist zu neuer Pracht erwacht. Sanft schlagen die Wellen an niedrige Ufermauern. Wo Angler geduldig aufs Anbeißen der Fische warten.
Wo Spaziergänger flanieren und den Marmor der neuen Brunnen bewundern, die meterhohe Fontänen in den blauen Himmel schicken. Die Sonne lässt das Gold der Inschriften an den Brunnen aufleuchten.
Kaukasische Mützen und internationale Marken
In den Teegärten, wo alte Herren mit kaukasischen Fellmützen Schach spielen, scheint asiatische Zeitlosigkeit das Leben zu bestimmen.
In den internationalen Hotels dagegen ist der Takt der Globalisierung zu spüren. Geschäftsleute aus aller Welt feilschen um die Gunst der aserischen Verkäufer. Seit vier Jahren spülen die Erdschätze aus der Küstenregion Millionen in die Staatskasse Aserbaidschans.
Nicht nur Gebäude, ganze Straßenzüge jetzt werden saniert. Prachtvolle Häuser entstehen. Ladenketten mit Markennamen aus aller Welt ziehen ein, eine Mischung aus New Yorker Fifth Avenue, Pariser Champs d’Elysees, Monte Carlo und Düsseldorfer Kö.Die Schaufenster können kaum groß genug sein. Alles ist edel, alles glänzt.
Schicke Cafes und Fußgängerzonen
In neu geschaffenen Fußgängerzonen locken schicke Cafes die Besucher.
Überall in der Stadt ist Leben, auch nachts, wenn bunte Lampen die frischen Fronten in ein Lichtermeer verwandeln. Es blitzt und glitzert und leuchtet – grün, rot, blau, lila. Baku feiert den Wohlstand. Baku feiert das Leben. Baku feiert die vielen Petrodollars, die dies alles möglich machen.
Der erste und der zweite Ölboom
Die Straße nach Norden ist gesäumt von rostigen Überresten des ersten Ölbooms. Von der Jahrhundertwende bis zu Stalins Zeiten wurde hier im Norden viel Öl gefördert. Doch dann versiegten die Quellen. Alles blieb stehen, wie es damals verlassen wurde: Bohrtürme, Tanks und Werkhallen.
Erst in den 90er Jahren, nach dem Ende der Sowjetunion, kamen internationale Spezialisten mit ihrer neuen Ölbohrtechnik nach Baku. Offshore konnte man nun Öl und Gas unter dem Meer erschließen. Damals schloß Heydar Alijev, der Vater des heutigen Präsidenten, mit internationalen Firmen die Verträge, auf denen der heutige Reichtum gründet.
Alijevs Büsten stehen, Alijevs Bilder hängen in jedem Winkel des Landes, selbst in den Abteilen der Eisenbahn. Man ist ihm dankbar für den Fortschritt und für die vielen Neuerungen der letzten Jahre.
Viele Neuerungen
Dankbar ist auch Ahmed, der mit seinem schicken, neuen Taxi viele Geschäftsleute aus dem Ausland zu ihren Terminen fährt.
„Ich wohne in Sumgait. Vieles hat sich verändert: Es gibt neue Autos, alle internationalen Marken, es gibt neue Hotels, es gibt neue Schulen.“
Dort in Sumgait, eine Stunde von Baku, rosten alte Industriekomplexe vor sich hin. Schnell können sie zu neuem Leben erwachen, wenn die Wirtschaft des kleinen Landes auf Touren kommt, wenn der neue Reichtum von der Hauptstadt in die umliegenden Regionen weitergetragen wird.
Schon investiert die Regierung kräftig in Schulen. Überall im Land werden sie gebaut, werden ausgestattet mit Computern und Internet. Die Schüler lernen Englisch oder Deutsch, damit sie im internationalen Wettbewerb mithalten können. Eine Lehrerin berichtet:„In den letzten zwei Jahren haben wir Computer bekommen für die Schüler. Und haben wir immer mehr Schüler, die Fremdsprachen lernen möchten.“
Auf dem Land
Je größer die Entfernung zur Hauptstadt, desto schwächer strahlt deren Glanz. Die Landschaften und Klimate wechseln oft schon nach wenigen Kilometern. Hier trockene Salzwüste, dort saftig grüne Wiesen mit großen Schafherden.
Doch immer wieder begegnet man Baumaschinen am Wegesrand. Im ganzen Land entsteht ein dichtes, gut befahrbares Straßennetz, auch zu den entlegensten Regionen im Westen des Landes. Noch ziehen Schäfer mit riesigen Herden über die weitläufigen Ebenen.
Vom Schäfer zum Hotelier
Ein Schäfer in Naftalan hat seine 10.000 Schafe gegen einen Kredit bei der Bank eingetauscht. Mit dem Geld hat er ein Kurhaus gebaut.
Der strahlend weiße, lang gestreckte Neubau steht mitten in der Steppe, umgeben von einigen Bäumen und einem frisch angelegten Gärtchen. Hier sollen Zivilisationsmüde und Kranke in Naftalan-Ölbädern geheilt werden. Naftalan, ein mineralienreiches Erdöl, gilt als Heilmittel für Hautleiden, Rheuma und viele andere Krankheiten.
Gäste aus dem Ausland sind willkommen. Die ersten waren schon hier, erzählt der ehemalige Schäfer: „Wir hatten hier zwei Deutsche und zwei Schwarze, und jetzt ist hier gerade ein junger Mann aus Moskau.“
Langsamer Aufbruch in den Regionen
Die Aufbruchstimmung hat Gänca, eine Stadt ganz im Westen des Landes gerade erst erreicht.
Unüberhörbar schallt der Ruf des Muezzin über die Häuser. Er ruft die Männer zum Gebet in die Moschee. Christen füllen -nur zwei Straßen weiter – die Russisch-Orthodoxe Kirche.
Die Religion spielt in Gänca – noch – eine wichtige Rolle, sagt Irina, die Frau des Popen: „Alle kommen her, Junge und Alte. Und auch viele aus gemischten Ehen, einige gehen sogar mal in die Moschee und mal in die Kirche.“
Einkaufen auf dem Basar – dem Markt
Wer einkaufen will, geht auf den Basar. Dort gibt es fast alles, Lebensmittel und Haushaltsartikel, aber auch Stereoanlagen und CDs.Die Händler haben ihren festen Platz in der Markthalle, einige besitzen einen kleinen Laden an der Außenseite.
Wer nur gelegentlich etwas verkauft, hockt sich etwas abseits und wartet dort auf Kunden. Ist kein Kunde zu sehen, sitzt man in kleiner Runde mit Freunden auf irgendeiner Kiste oder einem Hocker, trinkt Tee und knabbert Trockenfrüchte.
Feste feiern in großer Runde
Wenn Feste gefeiert werden, kommen große Runden zusammen. Dass 300 Gäste zur Hochzeit geladen werden, ist durchaus normal, nicht nur alle Verwandten, auch alle Freunde und Nachbarn sind dabei. Gastgeber und Gäste bringen Essen und Trinken mit, die Brauteltern organisieren das.
Auf dem Land feiern die Familien traditionell drei Tage lang. In Baku dagegen wird alles an einem Tag erledigt, denn Zeit ist Geld.
Und das Geld strömt langsam auch von der Metropole Baku in die ländlichen Gebiete. Mit neuen, besseren Straßen, mit modernen Schulen, mit Internet und Tourismus erreicht die internationale Welt den Kaukasus und verändert die Republik Aserbaidschan.