Es war wie immer: Tag zu Ende, doch wir besuchen noch jemanden. Familie und Freunde besucht man hier oft, oder ruft sie zumindest täglich an. Heute besuchen wir die Schneiderin Eka, abends um elf Uhr, nach georgischen Zeiten ganz normal. Bis Mitternacht läuft das soziale Leben hier auf Hochtouren.
Wir fahren mit dem Auto. Die großen Straßen sind gut und beleuchtet, die Nebenstraßen dunkel. Es ist noch immer um die 30 Grad warm. Mit dem kleinen, 20 Jahre alten VW Golf umkurven wir zahlreiche Schlaglöcher und überqueren langsam hochstehende Rohre. Schließlich erreichen wir das Haus der eifrigen Frau, oben, am Stadtrand. Drei Mal ist sie in den letzten Jahren umgezogen. Ihre alte Wohnung in der Altstadt war klein, aber hinter dem Parlament zentral gelegen. Ihre Kunden hatten einen kurzen Weg. Mit zwei Mitbewohnerinnen teilte sie sich Platz und Miete. Jeder hatte ein Zimmer mit Bett, Schrank, Fernseher und Ofen. Küchenecke und Minibad im Hof nutzen sie gemeinsam. Doch dann konnte Eka die Miete nicht mehr bezahlten. Gas, Strom und Wasser kosteten mehr und mehr. Arbeit hatte sie genug, doch was sie verdiente, reichte nicht mehr für sie und die Tochter. Ihr Mann ist schon vor vielen Jahren verstorben.
Die Tochter ging als Au pair ins Ausland, wo sie bleiben möchte. Eka zog um in eine noch kleinere, total herunter gekommene Bleibe ein paar Häuser weiter. Doch auch dort konnte sie nur wenige Monate bleiben. Ein Verwandter nahm sie dann auf und gab ihr ein Zimmer in seiner Wohnung im achten Stock eines Hochhauses am Stadtrand von Tiflis.
Dort betreten wir das dunkle Treppenhaus. Kein Licht gibt es hier, der Boden ist uneben und jeden Schritt muss man sorgfältig wählen. Mit dem Licht aus unseren Handies arbeiten wir uns zum Fahrstuhl vor, drücken auf den Knopf und warten. Nichts geschieht. Wir drücken nochmals und machen die Hörprobe am Schacht. Nichts regt sich, kein Laut ist zu hören.
Also los geht’s, zu Fuß, ab in den 8. Stock, Stufe für Stufe. Handy fest in der Hand und immer die Beleuchtung drücken, bevor das Licht erlischt…drei Nachbarn kommen uns entgegen, ebenfalls im Schein ihrer Handies…Die unteren Stufen sind ausgetreten, nach oben hin werden sie immer besser. Als wir den achten Stock erreichen, geht auch die Klingel der Wohnung nicht. Wir klopfen mit der geballten Hand. Die Tür öffent sich und da steht Eka, hocherfreut über unseren Besuch. Wir berichten von unserem mühamen Weg nach oben. “Ach der Fahrstuhl,” sagt sie, “der geht mal, und dann geht er wieder nicht, das ist schon lange so. Und Licht gibt es sowieso nicht.”
Viele Gebäude in den Städten hier sind heruntergekommen. Die Wohnungen gehören den Besitzern, die Häuser gehören dem Staat. Treppenhäuser haben oft keine Fenster, Kabel hängen von den Wänden und Lampen fehlen. Warum renoviert der Staat sie nicht?
“Mischa baut lieber Brunnen!” sagen die Menschen hier über ihren Präsidenten. Dutzende Brunnen zieren die Hauptstadt Tiflis, große und kleine. Nachts leuchten ihre Fontänen in bunten Farben. Wie viele Georgier würden ihn heute wieder wählen? Die ausländischen Touristen, die seine Brunnen mögen, die zählen nicht!